Von Geiz, Glück und anderen Gefühlen

Roland-Center ist Kulisse für interaktiven Dokufilm

von Elke Lutzebäck

KIRCHHUCHTING. Der Filmemacher Florian Thalhofer und der Schriftsteller sowie Literaturkritiker Kolja Mensing streifen vier Wochen lang täglich mit Kamera, Notizblock und Notebook durch das Roland-Center. Sie beobachten, lassen die Atmosphären auf sich wirken, führen Interviews mit Besuchern und Angestellten, sind auf der Jagd nach interessanten Geschichten, die das Leben schreibt. Die Künstler haben laut eigener Konzeptidee eine "erzählende Standortanalyse auf engstem Raum" geplant.In der Ladenstraße und in Geschäften fangen sie Stimmen ein, verdichten sie zu kleinen Alltagsromanen. Themen sind Liebe, Einsamkeit, Geiz, Glück und andere große Gefühle. "Die Shopping Mall wird zu einem überdimensionalen Umschlagplatz für abenteuerliche Erzählungen aus dem schnelllebigen Wunderland der Gegenwart", beschreiben sie auf ihrer Website "www.13terShop.de". Die Geschichten sind Bestandteil ihres interaktiven, im Gebäudekomplex produzierten Dokumentarfilms. Die entstandenen Clips werden ins Internet gestellt. Die zwei Berliner wurden schon einmal von der Arbeitnehmerkammer Bremen beauftragt, erstellten unter dem Titel "13terStock" das Porträt eines Wohnblocks und seiner Bewohner in der Grohner Düne.Für Florian Thalhofer und Kolja Mensing war die Suche nach einem für das neue Projekt geeigneten Partner gar nicht so einfach. "Es war schwierig ein Center zu finden, viele wollen das nicht", schildert Mensing im Gespräch mit dem Stadtteil-Kurier und stellt dabei eine Videokamera auf, um den Dialog mit der Presse festzuhalten. Der 35-Jährige freut sich über die unkomplizierte Verhandlung mit Roland-Center-Managerin Kathrin Landsmann. Der Literaturkritiker: "Sie war ganz offen für das Projekt." Nachdem die Center-Chefin eine Drehgenehmigung erteilt hatte, zogen Kolja Mensing und Florian Thalhofer in einen auf dem Parkplatz des Einkaufszentrum aufgestellten Wohnwagen. Von dort schwärmen sie täglich aus, dokumentieren das Geschehen in der Shopping Mall."Wir interessieren uns für Geschichten", bringt es Mensing auf den Punkt. Thalhofer unterstreicht: "Ich denke nicht an ein Zielpublikum - ich versuche herauszufinden, was mich selber interessiert. Mich interessiert, wie andere Leute über das Leben denken, und ich will mit ihnen ins Gespräch kommen." Untersuchungen hätten ergeben, dass es leichter sei, in geschlossenen sozialen Systemen - damit ist auch das Roland-Center gemeint - an die Dynamik der Leute heranzukommen, als auf der Straße. Dabei lassen sich die Künstler von der zentralen Frage leiten: "Warum erzählen Menschen Geschichten?".Nach Beendigung des Projekts mit dem Arbeitstitel "13terShop" habe der Film bis zu sechs "Hauptdarsteller". Die Arbeit von Mensing und Thalhofer im Huchtinger Einkaufszentrum ist von Spontaneität gekennzeichnet, sie lassen sich durchaus treiben. Ihr Film besteht aus einzelnen Sequenzen. "Wir machen ihn Stück für Stück, und man kann im Internet verfolgen, wie wir ihn machen. Das ist Teil unseres Konzepts, Sachen zu produzieren und sie gleich zu veröffentlichen", erläutert Florian Thalhofer. Der 34-Jährige hat das so genannte Korsakow-System entwickelt. Es handelt sich um eine Software, mit der sich Keyword-basierte, nonlineare Filme erstellen lassen. Für seine Arbeiten ist der Medienkünstler unter anderem mit dem Litratur-Digital Award, dem Red Dot Design Award und dem Werkleitz Award ausgezeichnet worden.Und so füllt sich das multimediale Tagebuch von Kolja Mensing und Florian Thalhofer täglich mit neuen Geschichten, Fotos und Videos.

(Weser Kurier, 19. Oktober 2006)