Irgendwo ist es ein Teil von mir


Mall Rats (4): Frau Landsmann ist 27 Jahre alt und Center-Managerin. Im Sommer hat ihr Unternehmen sie für eine Fortbildung ohne Handy und Navigationssystem in den Wald geschickt. Mit ihrem Team sollte sie eine Brücke bauen

Im zweiten Stock lagern die Dekorationen für die jährlich wiederkehrenden Aktionen des Centers. Seit einigen Tagen werden hier die Weihnachtsbäume abgestaubt und die roten Kugeln poliert. Weihnachten beginnt im November. Wir nutzen die Kulisse für ein Interview mit der Center-Managerin.

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Frau Landsmann nimmt vor den geschmückten Bäumen die gleiche Körperhaltung ein wie bei unserem letzten Gespräch in ihrem Büro. "Eine gewisse Bodenhaftung ist vorhanden. Ich bin offen für Ihre Fragen, aber auch nicht zu offen." - Ist es nicht anstrengend, diese Fassade ständig aufrechtzuerhalten? - "Ich würde es nicht als Fassade bezeichnen. Irgendwo ist es ein Teil von mir."

Frau Landsmann ist 27 Jahre alt. Sie ist in Magdeburg aufgewachsen und entwickelte bereits in ihrer Schulzeit "ein so hohes Eigenengagement", dass ihre Mutter sie "immer mal wieder herunterholen musste". In der Schule hat man ihr erklärt, wie schlimm der Kapitalismus war, mit Bildern von Obdachlosen und Schlangen vor dem Arbeitsamt. Damals wollte sie Archäologin werden, weil das der einzige Weg war, als DDR-Bürgerin die Pyramiden in Ägypten zu sehen. Dann kam die Wende. Nach dem Abitur schrieb sie sich in Magdeburg für "Kosmopolitische Betriebswirtschaftslehre" ein, studierte drei Jahre lang, absolvierte neben der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung einen Kursus in Landschaftsfotografie und ein viermonatiges Auslandspraktikum in Griechenland. Damals erlebte sie die "aufregendste Zeit in ihrem Leben". "Einfach mal ans Meer fahren, in einem Olivenhain übernachten, das war natürlich etwas ganz anderes."

Zuletzt wurde es ihr zu viel. "Immer nur blauer Himmel, das ist nichts für mich. Ich wollte wieder richtig studieren und arbeiten." Mit 22 hatte sie ihr Diplom, bewarb sich auf eine Anzeige in der Jungen Karriere und wurde die jüngste Center-Managerin, die ihr Unternehmen bis dahin eingestellt hatte. Nach dem Ende der Trainee-Phase kam sie ins Roland-Center. Damals war sie 24 und hatte zehn Mitarbeiter unter sich, die alle älter waren als sie. In ihrem Büro hängt eine Postkarte, mit einem Zitat von Oscar Wilde: "Die Basis des Optimismus ist schiere Furcht." - Was bedeutet ihr der Satz? - "Ach, den finde ich einfach witzig."

Frau Landsmann lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Als Trainee musste sie sich in dem Seminar "Im Kreuzfeuer" gegenüber aggressiven Interviewpartnern behaupten, bei Konferenzen wird sie ohne Vorwarnung zu einem Kurzvortrag aufgerufen, und in diesem Sommer war sie mit zwölf anderen Center-Managern auf einer Fortbildung in einem Waldgebiet. Die Teilnehmer wurden "ihrer Kernkompetenzen, sprich ihres Fachwissens" beraubt und absolvierten ein Survival-Training. "Ohne Handy, ohne Navi-System."

Frau Landsmann spannte mit ihrem Team eine Brücke aus Seilen, dann wurden ihre Qualitäten als Führungskraft beurteilt. - Hat sie daraufhin eine Gehaltserhöhung gefordert? - Frau Landsmann lacht. In ihrem Unternehmen finden keine Verhandlungen über Gehaltserhöhungen und Prämien statt. "Man fragt nicht danach, sie werden einem gegeben." Wie viel sie verdient, verrät sie uns nicht. "Für mein Alter ist es ein gutes Gehalt, auch wenn ich es zum Beispiel mit dem Einkommen meiner Mutter vergleiche."

Frau Landsmanns Mutter war zu DDR-Zeiten im Organisationsstab der Landwirtschaftsausstellung "agra" tätig, seit der Wende arbeitet sie in der Verwaltung. Einen Vater gibt es nicht. "Er hat sich bereits vor meiner Geburt von meiner Mutter getrennt." Kontakt hat Frau Landsmann nicht zu ihm, er hat sich immer nur gemeldet, wenn er für seine Steuererklärung eine Bescheinigung brauchte, dass seine Tochter zur Schule geht oder studiert. "Seit ich arbeite, hat das natürlich aufgehört."

Was würde sie machen, wenn sie nicht Center-Managerin wäre? - Sie antwortet, ohne zu zögern. "Da fällt mir im Moment nichts ein."

KOLJA MENSING


Kolja Mensing und Florian Thalhofer verbringen einen Monat im Einkaufszentrum. Geschichten und Videos unter www.13terStock.de


taz vom 9.11.2006, S. 15, 138 Z. (TAZ-Bericht), KOLJA MENSING